Von Ilona Kienle / 26.05.2022

Ein Interview über unsere Aktion erschien am 18.05.2022 im Donau-Anzeiger und in Deggendorf aktuell:

„Greenpeace-Aktive demonstrierten letzten Samstag in Deggendorf auf dem Oberen Stadtplatz für ein Ende der Beimischung von Biosprit zu Benzin und Diesel. „Essen auf dem Teller, nicht in den Tank“, forderten sie die Deggendorfer auf. Denn auch hier wurden 2021 mehr als 1.000 Tonnen Getreide vertankt. Über die Hintergründe der Aktion sprachen wir mit Ilona Kienle von Greenpeace Deggendorf.

Infostand in der Deggendorfer Fußgängerzone
© Ilona Kienle / Greenpeace Deggendorf

Frau Kienle, was war die Botschaft dieser Aktion?

Ilona Kienle: Für Greenpeace ist Biosprit schon lange ein Thema. Denn während Menschen im mittleren Osten und vor allem in Afrika keinen Zugang zu Nahrungsmitteln haben, werden essbares Getreide und andere wertvolle pflanzliche Öle zu Kraftstoffen verarbeitet. Zusätzlich landen Millionen Tonnen Weizen im Futtertrog von Schweinen, Rindern und Geflügel. Lediglich 20 Prozent der Weizenernte dienen unserer Ernährung. Das ist nicht akzeptabel. Deshalb protestierte Greenpeace nach einer spektakulären Aktion in Hamburg nun bundesweit in 30 Städten.

Können Sie Agrar- oder Biokraftstoffe genauer erklären?

Seit 2007 müssen Kraftstoffe in Deutschland einen Mindestanteil an Bio-Masse enthalten. Dazu werden Weizen, Mais oder Rüben zu Ethanol verarbeitet und Benzin beigemischt. Bei Diesel sind es Pflanzenöle. Der Absatz von Ethanol hat in Deutschland 2021 im Vergleich zum Vorjahr um 4,5 Prozent auf 1,15 Millionen Tonnen deutlich zugenommen. Mehr als die Hälfte stammte aus inländischer Erzeugung. Dafür wurden 2,4 Millionen Tonnen Weizen verwendet. Dies entsprach 5,6 Prozent unserer Ernte von 42,4 Millionen Tonnen.

Gut 3,5 Millionen Tonnen Biodiesel wurden in Deutschland 2020 fossilem Dieselkraftstoff beigemischt. Auch hier Tendenz steigend. Knapp die Hälfte der Rohstoffe kamen aus Europa, hauptsächlich war es Raps. Dank staatlicher Förderung hat aber auch die Verwendung von Abfallölen zugenommen. Zum wichtigsten Rohstoff wurde 2020 allerdings Palmöl. Und das mit Abstand. Der Großteil kam aus Indonesien und Malaysia. Dass der dortige Anbau Haupttreiber für die Rodung von Regenwald ist, und was dieser ganze Irrsinn für Indigene und Orang Utas bedeutet, dürfte ja allen bekannt sein. Mich persönlich macht das wütend und traurig zugleich.

Summa summarum wachsen weltweit auf 1,2 Millionen Hektar Getreide und Ölpflanzen, die letztendlich in Tanks landen.

Gibt es Zahlen für Deggendorf?

Wir haben gerechnet. Im letzten Jahr hat Deggendorf etwa 1.081 Tonnen Getreide vertankt. Oder 43.240 Säcke mit je 25 kg. Pro Tag sind das 2.962 Kilo in 118 Säcken. Davon könnten wir Mehl mahlen und etwa 5.000 Brote backen. Täglich! Ja, es ist kaum zu glauben.

Infostand in der Deggendorfer Fußgängerzone
© Ilona Kienle / Greenpeace Deggendorf

Die Klimawirkung von Biosprit ist umstritten. Was sagt Greenpeace dazu?

Biokraftstoffe sind ja eingeführt worden, um den Klimaschutz voranzutreiben und die Abhängigkeit von Öl zu reduzieren. Diese Ziele sind richtig, doch Biosprit ist der falsche Weg dorthin. Denn die Zukunft gehört den Erneuerbaren Energien. Insgesamt sind die Auswirkungen des intensiven Anbaus für Biosprit auf Biodiversität und Klima komplex. Doch wenn wir allein die Produktionskette – vom Anbau bis zur Zapfsäule – betrachten, ist das Ergebnis katastrophal und alles andere als klimaneutral.

Wie hängt Biosprit mit dem Welthunger zusammen?

Zum einen: 800 Millionen Menschen hungern weltweit. Mehr als 24.000 Menschen sterben täglich an den Folgen von Hunger. Nach Unicef-Schätzungen sind weltweit derzeit etwa 45 Millionen Kinder unter fünf Jahren akut mangelernährt. Eine stille Tragödie, die nicht erst seit diesem Jahr existiert, aber selten Beachtung findet. Kriege in vielen Teilen der Welt, eine Pandemie, die Lieferketten unterbrochen hat, aber auch Ernteausfälle durch Dürre aufgrund der Erderhitzung, verknappen das Nahrungsangebot weiter. Die Konkurrenz zwischen Tankfüllung, Tierfutter und Ernährung treibt nun die Preise in die Höhe. Die Not und Verzweiflung von Menschen wird hier völlig ausgeklammert.

Zum anderen: Russland als weltweit führender Weizenexporteur produziert gemeinsam mit der Ukraine 30 Prozent des weltweiten Weizens. Vor allem Ägypten, viele weitere Länder Afrikas und des mittleren Ostens, darunter die ärmsten Länder der Welt, importieren das Getreide mehrheitlich aus Russland und der Ukraine. Nun drohen durch den Ukrainekrieg weitere Ausfälle sowie Preise auf Rekordniveau. Wenn dann für Hilfsorganisationen auch noch Mittel von Regierungen gekürzt werden, wird die lebenswichtige Unterstützung, wie etwa im kriegsverwüsteten Jemen, immer schwieriger.

Mit einem Stopp der Beimischung von Biosprit könnten schnell Getreide und Pflanzenöl zur Versorgung bereit gestellt werden. Deutschland würde mit einem Ausstieg ein wichtiges Zeichen setzen, zugleich wäre es ein klares Signal an die überhitzten Märkte.

Ist ein schneller Verzicht auf Biosprit überhaupt möglich?

Ja. Dazu müsste das Bundesimmissionsgesetz geändert und die Treibhausgasminderungsquote angepasst werden. Das Bundesumweltministerium arbeitet seit kurzem gemeinsam mit dem Bundeslandwirtschaftsministerium an einem Entwurf, der für Greenpeace aber unzureichend ist.

Wie steht es mit dem Anbau von Getreide in Deutschland?

Deutschland baut ausreichend Getreide an, um sich selbst zu versorgen – auch wenn die Lücken beim Mehl in den Supermarktregalen einen anderen Eindruck erwecken. Das ist schlichtweg Hamsterei. Insgesamt erzeugen die europäischen Länder auf ihren Äckern Spitzenerträge, die sich kaum noch steigern lassen. Noch intensiver zu wirtschaften, auf mehr Flächen Dünger und Pestizide einzusetzen, verschärft nur die ökologischen Probleme. Und wenn der Deutsche Bauernverband das Erreichen der Umweltziele im Agrarbereich jetzt zurückstellen will, um die Produktion zu steigern, dann geht es nur geschäftliche Interessen.

Was sind die Forderungen von Greenpeace?

Greenpeace fordert von der Bundesregierung, die Beimischung von Biokraftsoffen zu Benzin und Diesel umgehend zu beenden und dazu das Bundesimmissionsgesetz entsprechend zu ändern. Selbstverständlich darf weniger Biosprit nicht zu höherem Verbrauch von Erdöl führen. Das bedeutet nun mal, dass die Stromversorgung aus Sonne und Wind schleunigst vorangetrieben werden muss und – raus aus dem Verbrenner. Auch ein Tempolimit auf Autobahnen und innerorts ist überfällig. Schwer begreiflich, wie sehr sich Verkehrsminister Volker Wissing von der FDP, wie schon seine Vorgänger aus der CSU, dagegen stemmt.

Auch muss der Abbau der Tierzahlen in der Landwirtschaft beschleunigt werden, um den Bedarf an Futtergetreide zu senken.

Das sind die Forderungen an die Regierung. Was kann jede:r einzelne tun?

Wenn wir deutlich weniger Auto fahren, Biker mal weniger Gas geben, wenn wir Fahrrad fahren und mehr zu Fuß gehen, ist schon viel gewonnen. Und wenn wir uns möglichst pflanzlich und bio-regional ernähren, schützen wir nicht nur das Klima, sondern leisten auch einen großen Beitrag zum Tierschutz.

Es gibt außerdem eine gemeinsame Petition mit Misereor an Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) und Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD). Wer nicht letzten Samstag unterschrieben hat, kann das online unter act.greenpeace.de/kein-essen-in-trog-und-tank nachholen. Bitte helfen Sie mit. Wir sind mit dieser Aktion auch am Donaufest. Hier wieder dabei zu sein – darüber freuen wir uns besonders.

Haben Sie ein Fazit?

Na klar. Biosprit ist umweltpolitischer Unfug!“

 

Interview: Andrea Weidemann / Mai 2022

 

 

Bilder vom Donaufest in Niederalteich 2022:

 

Infostand beim Donaufest in Niederalteich
© Ilona Kienle / Greenpeace Deggendorf

 

Infostand beim Donaufest in Niederalteich
© Greenpeace Deggendorf

 

Infostand beim Donaufest in Niederalteich
© Ilona Kienle / Greenpeace Deggendorf

 

Infostand beim Donaufest in Niederalteich
© Ilona Kienle / Greenpeace Deggendorf

 

Infostand beim Donaufest in Niederalteich
© Ilona Kienle / Greenpeace Deggendorf

 

 

Dateien