Pestizide außer Kontrolle

Redaktion GP Deggendorf
Redaktion GP Deggendorf • 19 Oktober 2017
in der Gruppe Greenpeace Deggendorf
Greenpeace-Aktivisten vor dem Brüsseler EU-Parlament
Von Ilona Kienle

Wie unsere Umwelt vergiftet wird

Landwirtschaft aus Sicht von Greenpeace

Zu dem ausführlichen Artikel „Noch nie wurden wir Landwirte so massiv angegriffen“ vom 28.09.2017 in Deggendorf aktuell nahmen wir mit nachfolgendem Text Stellung:

Greenpeace-Aktivisten vor dem Brüsseler EU-Parlament
Greenpeace-Aktivisten vor dem Brüsseler EU-Parlament
Das Brüsseler EU-Parlament im Februar 2017. Greenpeace-Aktivisten protestieren in Schutzanzügen gegen den übermäßigen Gebrauch von Pestiziden in der Landwirtschaft. Pro Jahr werden davon mehr als 45.000 Tonnen auf deutsche Äcker gespritzt.
© Greenpeace

Mehr und bessere Ernten – so lautete früher die zentrale Herausforderung an die Bauern. Die industrialisierte Landwirtschaft sollte der Schlüssel dafür sein. Was wurde uns nicht alles versprochen. Massenhafte Produktion von Obst und Gemüse, maximale Erträge ohne störendes Unkraut, ohne Pilzbefall, ohne Insekten. Möglich gemacht durch den flächendeckenden Einsatz von Pestiziden. Klingt erst einmal harmlos. Doch Pestizide sind Gifte mit unkalkulierbaren Risiken. Sie erreichen uns Menschen auf direktem Weg als Rückstände in Nahrungsmitteln, im Trinkwasser und können uns sowohl akut als auch chronisch schädigen. Das hat Greenpeace bereits vor Jahren nachgewiesen. Pestizide belasten die gesamte Umwelt, wirken sich negativ auf die Bienen aus, gefährden die biologische Vielfalt. Da ist die Sache mit unseren Singvögeln, besser gesagt, mit dem Ausbleiben derselben. Es fehlt nicht nur das Gewimmel und Gewürm im Boden, in der Luft und auf den Pflanzen, es fehlen auch die Rückzugsräume, denn Hecken und Feldraine gibt es kaum noch. Nach Ansicht des Bauernverbandspräsidenten Joachim Rudwied aber hat dieser Artenschwund mit den Pflanzengiften nichts zu tun. Klar, das Artensterben hat wie fast jedes Umweltproblem verschiedene Ursachen. Aber halb Deutschland wird landwirtschaftlich genutzt. Und die Art und Weise, wie das geschieht, ist sehr wohl die Hauptursache des Artensterbens. Fakt ist doch: Die Artenvielfalt in der Umgebung ökologisch geführter Betriebe ist bis zu sechsmal höher, als auf konventionell bewirtschaftetem Land.

In der Kritik steht vor allem das Totalherbizid Glyphosat, das in Dutzenden Mitteln enthalten ist. 5000 Tonnen werden jährlich auf 40 Prozent unserer deutschen Ackerflächen ausgebracht. Obwohl Krebsexperten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Bundesärztekammer vor einer weiteren Zulassung von Glyphosat warnen, ignoriert das nicht nur der Bauernverband, sondern auch unsere Kanzlerin Angela Merkel mit ihren Ministern Hermann Gröhe und Christian Schmidt. Auch das Bundesamt für Risikobewertung (BfA) spricht sich für Glyphosat aus. Doch am 6. Oktober präsentieren in Berlin die Organisationen PAN Germany und Global 2000 ein Gutachten des BfA an die EU, in dem die Behörde Einschätzungen zur Unbedenklichkeit von Glyphosat wörtlich vom Hersteller Monsanto übernimmt. Abgeschrieben sozusagen. Für Greenpeace ist es ein Skandal, dass hier sämtliche Verantwortlichen eine Entscheidung im Sinne des Herstellers treffen, während die Gesundheit Millionen Bürger völlig außer Acht gelassen wird. Noch immer gibt es in der EU keine Einigung darüber, ob das Pestizid weiterhin in der Landwirtschaft eingesetzt werden darf.

Auch andere Probleme gehen auf das Konto der konventionellen Landwirtschaft. Es ist die Nitratbelastung des Grundwassers durch Gülle, produzieren die riesigen Ställe mit bis zu 60.000 Schweinen mehr davon, als die Äcker vertragen. Die EU-Kommission hat Deutschland deswegen verklagt und rechnet hiermit mit der Umwelt- und Agrarpolitik unseres Landes ab. Auch beim Ammoniak hält Deutschland die Grenzwerte nicht ein, 95 Prozent dieses Luftschadstoffes stammen aus der Landwirtschaft. Nicht zuletzt sind es die tierschutzwidrigen Haltungsvorschriften vor allem in der Schweinemast. Tierschützer decken immer wieder katastrophale Missstände auf, auch Greenpeace geht dagegen vor.

Radikales Umdenken ist unerlässlich

Pflanzengifte und Monokulturen
Pflanzengifte und Monokulturen
Durch Pflanzengifte und Monokulturen lebt fast nichts mehr auf einem Feld - außer der dort angebauten Nutzpflanze. Ökologisch gesehen gleicht ein Weizenfeld also einer Wüste.
© Greenpeace

Viel „Mist“ ist bereits passiert in der industriellen Landwirtschaft. Mit ihrer Massentierhaltung, ihren Monokulturen, ihrem Einsatz von riesigen Mengen an Pestiziden. Ein System, das uns langfristig alle zu Verlierern macht, verbockt und vorangetrieben von Politikern, den Bauernverbänden und der Agrarindustrie. Mitschuld an dieser Entwicklung sind aber auch Aldi, Lidl und Co. mit ihren Dumpingpreisen für Fleisch und Milch und letztendlich der Konsument. Denn Massenproduktion zu Billigpreisen geht nun mal auf Kosten der Tiere und der Umwelt. Und – es treibt immer mehr Bauern in den Ruin. Das Höfesterben ist dramatisch, hat in den vergangenen 20 Jahren doch jeder zweite Betrieb dichtgemacht.

Greenpeace setzt sich für eine moderne, gesunde Landwirtschaft ein, die sich an natürlichen ökologischen Kreisläufen ausrichtet und auf den Einsatz von Gentechnik und Pestiziden verzichtet. Nach Angaben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) wurden 2015 in Deutschland 6,5 Prozent der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche nach dem Ökologischen Landbau bewirtschaftet, in Bayern immerhin 7,3 und in Spitzenreiter Brandenburg 10 Prozent. Der Zuwachs ist stetig, aber langsam. Letzten Endes muss ein radikales Umdenken bei den Bauern, in Wissenschaft, Politik und beim Verbraucher folgen, wenn wir diesen Planeten nicht dauerhaft schädigen wollen.

Ein erster Schritt wäre, die EU-Agrarsubventionen an soziale und ökologische Kriterien zu koppeln. Sechs Milliarden Euro erhalten deutsche Landwirte jährlich von der EU. Bis jetzt geht die Verteilung rein nach Größe des Betriebs – weshalb derzeit 20 Prozent der Betriebe 80 Prozent der Förderungen erhalten. Und zwar völlig ungeachtet dessen, wie sie produzieren. Wenn wir das ändern könnten, wenn wir wenigstens mit den bereits vorhandenen Mitteln gezielter ökologisches Bewirtschaften fördern könnten, dann wäre nicht nur den Bauern geholfen. Sondern auch den Käfern und den Vögeln. Dann wäre Schluss mit all dem Mist – und auch für junge Landwirte gäbe es wieder eine attraktive Zukunft.

 

Ilona Kienle für Greenpeace Deggendorf

Weitere Infos: https://www.greenpeace.de/themen/landwirtschaft