Wo sind all die Bäume hin?

Redaktion GP Deggendorf
Redaktion GP Deggendorf • 20 Juli 2021
in der Gruppe Greenpeace Deggendorf
Von Ilona Kienle

Wir nehmen Stellung zum maßlosen Baumfällen in Deggendorf

Wald
© Ilona Kienle / Greenpeace Deggendorf

Manche:r mag ja der Ansicht sein, Greenpeace kümmere sich nur um den Schutz der Wälder am Amazonas, in Indonesien oder im Kongobecken. Sicher, dort sind Abholzung und Brandrodungen am fatalsten, doch deutsche Wälder sind ebenso unser Thema. So liegen unserer Deggendorfer Gruppe auch die Bäume der Region am Herzen. Gerade im letzten Jahr wurden hier in Deggendorf überdurchschnittlich viele Bäume gefällt. Die zehn bis 15 großen Bäume, die nach Angaben der Stadtgärtnerei heuer angeblich gefällt wurden, halten wir daher für stark untertrieben. Oder: Ab welchem Umfang fängt ein „großer“ Baum für die Verantwortlichen an? Fallen kleinere Bäume einfach durch das Raster?

Dabei sind gerade wir Deutschen wie kaum eine andere Nation mit unseren Bäumen, unseren Wäldern verbunden. Seit jeher üben sie einen magischen Einfluss auf uns aus, hier sind unsere Mythen geboren, unsere Fabelwesen, unsere Märchen. Bäume waren Sitz der Götter, Wälder Refugien des Glaubens, Tempel und Kultstätten, Kraftplätze. Noch heute bedeuten sie Identität, Heimat, Kultur. Und noch heute begleiten uns Bäume wie selbstverständlich bei traditionellen Feiern, wir pflanzen Bäume als wichtige Wegmarken oder zur Geburt eines Kindes.

Perfektes Ökosystem und heilsamer Raum

Totholz
© Ilona Kienle / Greenpeace Deggendorf

Doch Bäume können mehr. Sie spenden uns Bauholz, Möbelholz, Feuerholz. Wir essen ihre leckeren Früchte. Und wir gewinnen Öl aus ihrer Rinde, Tonikum aus Knospen, Aufgüsse aus Blättern zur Behandlung von Hautproblemen, Rheuma, Fieber.

Bäume sind eben Multitalente. Und das perfekte Ökosystem. Denn sie halten nicht nur die Kreisläufe des Lebens in Gang. Sie sind Hochwasserschutz. Verhindern Bodenerosion ebenso wie Wüstenbildung. Beheimaten unzählige Lebewesen, sind wahre Schatzkammern der Artenvielfalt. Sie vernetzen sich als Pflanzengemeinschaft. Kommunizieren, helfen einander. Sie bilden unsere Lebensgrundlage. Denn Wälder sind nach den Ozeanen die wichtigsten CO2-Speicher und produzieren durch Photosynthese zudem Sauerstoff. Davon deckt ein einziger Baum den Tagesbedarf von zehn Menschen. Mehr noch: Im Sommer unter seinem Blätterdach zu sitzen, diesen zarten Lufthauch auf der Haut zu spüren, ist ein wahres Erlebnis für die Sinne. Heilsamer Raum. Wohlfühlfaktor.

Wenn Bäume stören

Wald
© Ilona Kienle / Greenpeace Deggendorf

Ja, wir lieben sie. Unsere Bäume Und wir leiden, wenn einer dieser Riesen gefällt wird. Wenn Sicherheitsgründe dafür sprechen, kann es durchaus berechtigt sein, doch Bäume werden auch gefällt, wenn sie einfach nur stören. Wegen unzumutbarem Pollenflug oder fallenden Blättern. Sie stören, wenn sie in Konkurrenz zueinander stehen, wegen zu starker Wurzelbildung oder weil sie vor Jahren als falsche Bäume an falschen Orten gepflanzt wurden. Das ist auch in Deggendorf so. Mehrere tausend Bäume werden jedes Jahr allein in München gefällt, ein Großteil davon wegen Baumaßnahmen. Nachgepflanzt oder umgesiedelt wird nur ein Bruchteil.

Raubbau und wirtschaftliche Interessen

Auch Bayerns Wälder verschwinden. Nicht irgendein Wald, vor allem die Staatsforsten geben immer wieder Flächen her. Für Rohstoffabbau. Für Parkplätze. Vor allem für Gewerbegebiete. Von Mittelfranken über die Oberpfalz bis Oberbayern. Seit 2018 ist die Waldflächenbilanz negativ, es wird also mehr gerodet, als aufgeforstet. Dabei gab es doch 2019 den Paradigmenwechsel, als Ministerpräsident Markus Söder gleich neben der Staatskanzlei einen Baum umarmte und medienwirksam die bayerische Klimastrategie verkündete. Der Staatsforst solle Vorzeigewald werden – hieß es. Außer in Ausnahmen. Wenn es um Sachzwänge geht. Aber die gibt es halt immer wieder. Und sei das Projekt noch so unsinnig. So gibt es ernstgemeinte Planungen vor allem für Gewerbegebiete in ganz Bayern. Selbst wenn Bürger:innen für den Erhalt ihres Waldes demonstrieren. Selbst wenn der Streit wie im Forst Kasten eskaliert und die Polizei das Camp der Baumbesetzer räumt – am Ende wird doch gerodet. Wie in Bayrischzell, wo zwei Waldbesitzer rund zehn Hektar eines gut einhundert Jahre alten Lärchenwaldes abholzen, obwohl er als Biotop unter besonderem Schutz stand.

Wald
© Ilona Kienle / Greenpeace Deggendorf

Klar, dann kocht die Volksseele. Dann sprechen wir von Baumfrevel. Nicht nur in Bayern. Bundesweit. Hauptsächlich, wenn Baumaßnahmen gigantische Ausmaße annehmen. Wie beim Bahnprojekt Stuttgart 21. Wo beinahe 300 Bäume im Schlosspark umgehauen werden. Oder wenn RWE, einer der größten CO2-Verursacher Europas, für den Tagebau 3900 Hektar Wald im Hambacher Forst rodet. Immerhin 85 Hektar stören im Dannenröder Forst in Hessen. Für die restlichen 31 Kilometer der A49. Schade. Wer in Zeiten des Klimawandels und Artensterbens Straßen durch gesunde Wälder treibt, verkennt offensichtlich die Herausforderungen unserer Zeit.

Dabei ist der Raubbau an unserem Wald nicht neu. Komisch. Wo wir doch als erste Nation bereits 1442 die Endlichkeit des Waldes erkannt haben und das Bistum Speyer eine Forstordnung zum Schutz der Wälder erlassen hat. Die Geburtsstunde der Nachhaltigkeit. Eigentlich. Waren doch unsere Wälder im 19. Jahrhundert so stark geplündert, dass wir sie neu anlegen mussten. Wälder, die heute noch unsere Landschaft prägen. Wälder mit zu wenig Baumarten, und was wächst, wird zu früh gefällt. Baumplantagen. Vergiftet mit Insektiziden. Egal, es geht um Gewinnmaximierung.

Den Wald mal Wald sein lassen

Wald
© Ilona Kienle / Greenpeace Deggendorf

Leider. Denn es gibt kaum noch intakte Waldgemeinschaften mit Bäumen aller Generationen, kaum noch Bäume, die älter sind als 140 Jahre. Der Anteil naturnaher Wälder liegt in Deutschland bei lediglich 2,8 Prozent. Das Ziel, bis 2020 fünf Prozent aus der Nutzung zu nehmen, wurde krachend verfehlt. Deshalb sind die Naturwälder, die Bayern 2019 und insbesondere 2020 ausgewiesen hat, zwar ein begrüßenswerter Schritt, aber noch lange nicht genug. Denn unser Wald steckt in der Krise. Mit dem sauren Regen hätten wir ihn beinahe dahingerafft, nun setzen ihm Waldbrände, Dürre und Insektenschäden zu. Auch verbringen seit der Corona-Pandemie mehr als doppelt so viele Menschen ihre Freizeit im Wald. Oft werden dann Regeln missachtet, Bodenbrüter und Wildtiere aufgescheucht, der weggeworfene Müll stieg über das Zehnfache. Das bedeutet für den Wald massiven Stress.

Fast 90 Prozent unserer Wälder sind geschädigt. Sagt der aktuelle Waldzustandsbericht. Für Förster und Bestsellerautor Peter Wohlleben ist eine Trendwende vor allem in der Forstwirtschaft dringend nötig. Wo große Flächen vor der Säge unbedingt geschützt werden sollten und außerhalb dieser Schutzgebiete Holz behutsam in geringeren Mengen geerntet werden darf. Sein Credo: „Lassen wir den Wald doch einfach mal in Ruhe.“

 

Wald
© Ilona Kienle / Greenpeace Deggendorf

 

Wald
© Ilona Kienle / Greenpeace Deggendorf

 

Wald Winter
© Ilona Kienle / Greenpeace Deggendorf

 

Wald Winter
© Ilona Kienle / Greenpeace Deggendorf