Der Abgrund, der mal Heimat war
Eine (Zeit)reise durch die bedrohten und bereits abgebaggerten Dörfer am Rande
des rheinischen Braunkohletagebaus
Als Kind fuhr die Fotografin Jordis A.
Schlösser häufig mit ihren Eltern an den
Gruben und Kraftwerken der rheinischen
Braunkohletagebaugebiete vorbei. Als
Fotografiestudentin und später als Reporterin
kehrte sie immer wieder zurück. Viele der
Dörfer und Ortschaften, die sie im Bild festhielt,
sind längst abgebaggert. Demonstrant*innen
schrieben ihre Namen auf gelbe Schilder und
versahen sie mit schwarzen Kreuzen: Pützlohn,
Elfgen, Erberich, Borschemich, Otzenrath und
Immerath.
Schlösser fotografierte den Widerstand von
Bewohnern*innen und Demonstrant*innen
gegen den Vernichtungskampf des RWEKonzerns,
der bis 2038 weiterwüten dürfen soll.
Der absurde Gigantismus von Garzweiler –
derzeit 32 Quadratkilometer Grube, aus der
jährlich 35 Millionen Tonnen Braunkohle
gekratzt werden – wird in Schlössers Fotos
aus den Abrisszonen sichtbar: Dorfstraßen, die
plötzlich enden. Zertrümmerte Wohnhäuser, in
denen noch die Gardinen hängen.
Aber vor allem richtet sich ihr Blick auf die
Menschen, die da gerade aus ihrem alten
Leben vertrieben werden: Der Mann mit dem
Fahrrad, der seinen Nachbarort von mal zu mal
weniger erkennt; das Mädchen, das sich an
seinem Pferd festhält. Man muss sich zu den
Bildern den Dauerlärm der Schaufelradbagger
denken und genauso die Luft, die bei
schlechtem Wind nach giftigem Staub
schmeckt. Und man muss sich klarmachen,
dass jeder Tag eine neue, gute Gelegenheit ist,
diesen Wahnsinn endlich zu stoppen.