Die meisten werden die Massen-Antwort-Mail von Herrn Miersch zum Klimaschuzgesetz bekommen haben. Hier meine Antwort darauf.

Grüße aus Wuppertal

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Sehr geehrter Herr Lindh, sehr geehrter Herr Miersch

vielen Dank für die Mail zum Klimaschutzgesetz. Offenbar haben Sie, Herr Lindh, meine Mail hier an den Kollegen Miersch weitergeleitet. Ich möchte dennoch auch Ihnen antworten.

Leider handelt es sich bei Ihrer Antwort um eine Massenmail, in der Sie einige Aspekte meiner persönlichen Mail ignorieren. Ich bitte Sie, auch auf diese einzugehen und werde sie darum später noch einmal darlegen.

Sie schreiben „Entgegen der vielfach erhobenen Behauptung, die Sektorziele würden abgeschafft werden, haben wir ihre Beibehaltung vereinbart.“

Dieser Interpretation widerspricht die Aussage der FDP. Sie formuliert: „Wir werden die jährlichen Sektorziele jetzt durch eine sektorübergreifende und mehrjährige Gesamtrechnung ersetzen.“ (Quelle: https://www.fdp.de/umfassendes-modernisierungspaket-beschlossen)

Wird nun „beibehalten“ oder „ersetzt“? Offenbar sind Sie sich da nach 30 Stunden Verhandlung nach wie vor nicht einig. Daher sollten wir uns statt mit der Deutungshoheit schwammiger Formulierungen mit den Fakten beschäftigen.

Fakt ist, dass Minister*innen von Sektoren, die ihre Sektorziele nicht erreichen – vordringlich ist das Herr Minister Wissing für den Verkehrssektor – zukünftig kein Maßnahmenpaket zur Kompensation innerhalb des Sektors mehr vorlegen müssen. Stattdessen müssen die Minister*innen überhaupt nur noch aktiv werden, wenn die Gesamtmenge der Reduktion über alle Sektoren in der Projektion (!) und zudem erst nach zwei (!) Jahren dem Minderungsziel nicht entspricht. Entscheidend sind also nicht mehr die realen Minderungen, sondern die in der Zukunft erwarteten, von denen niemand weiß, ob sie überhaupt eintreten. (Formulierung im Beschluss des Koalitionsausschusses: „Wenn die Projektionsdaten in zwei aufeinanderfolgenden Jahren zeigen, dass  mit  den aggregierten Jahresemissionen bis zum Jahr 2030 das Gesamtminderungsziel nicht erreicht wird,“)

Auch in diesem Falle müssen die betroffenen Minister*innen nur noch dann einen Vorschlag vorlegen, wie durch Reduktionen auch in anderen Sektoren ihre Fehlleistung kompensiert werden kann. (Formulierung im Beschluss des Koalitionsausschusses: „wird die Bundesregierung auf Basis  der  Vorschläge  der  maßgeblich  für  die  Minderungsmengen der Sektoren verantwortlichen Bundesministerien Maßnahmen beschließen, die sicherstellen, dass das Minderungsziel bis 2030 dennoch erreicht wird.“)

Dabei sollen zukünftig ausdrücklich auch andere Sektoren durch schnellere Reduktion der Treibhausgase das Nichterreichen eines anderen Sektors kompensieren. (Formulierung im Beschluss des Koalitionsausschusses: „Alle für die Sektoren verantwortlichen Bundesministerien, insbesondere jene, in deren Zuständigkeitsbereich die Sektoren liegen, die die Zielverfehlung verursacht haben, haben zu den Maßnahmen der Minderung beizutragen.“)

Fazit: Erreicht der z.B. Verkehrssektor seine Minderungsziele nicht, hat das überhaupt keine Folge, solange in der Projektion zukünftig zum Beispiel eine großer Minderung durch E–Fuels (oder im Heizungsbereich durch Wasserstoff) behauptet wird. Stellt eine Minister*in eine Projektion, die auch in der Zukunft keine entsprechende Reduktion erreicht (ich schätze Herrn Wissings Intelligenz dafür als zu hoch ein, aber nehmen wir es mal an), macht die Minister*in lediglich einen Vorschlag, wie der Pfad wieder zu erreichen ist. Das kann dann zur Kompensation des Verkehrsbereichs auch z.B. eine schnellere Aufforstung im Bereich Land- und Forstwirtschaft sein. Eine Notwendigkeit für wirksame Maßnahmen im Verkehrsbereich besteht nicht mehr.

Ich sehe meine Aussage in meiner Mail „Anstatt das Gesetz zu erfüllen und Maßnahmen von den Minister*innen zu verlangen, die die Sektorziele reißen, belohnt man sie, indem man das Gesetz ihrer Verweigerungshaltung anpasst.“ leider auch nach Ihrer Antwort weiter als zutreffende Aussage an.

Sie schreiben: „Wir müssen aber anerkennen, dass die Pflicht bei Zielverfehlung jährlich neue Programme in einzelnen Sektoren aufzulegen, nicht automatisch zur Einhaltung unserer Klimaziele führt. Insbesondere im Gebäude- und Verkehrsbereich sind neben kurzfristigen Maßnahmen insbesondere auch mehrjährige Programme erforderlich, die erst im Laufe der Jahre ihre Wirkung entfalten können.“

Da Herr Wissing kein ausreichendes neues Programm vorgelegt hat, zum Beispiel einfache Maßnahmen wie ein Tempolimit verweigert, warum müssen Sie das anerkennen? Das kann ich nicht einsehen.

Welche langfristigen Programme meinen Sie konkret im Verkehrsbereich? Herr Wissing macht sich lediglich für eine Antriebswende stark: Ausbau der Ladeinfrastruktur und Markthochlauf der E–Fuels sind seine Themen. Wenn Sie sich mit dem Thema beschäftigen, wissen Sie selbst um die Frage, wie realistisch eine Rolle der E–Fuels in der Decarbonisierung der PKW-Flotte angesichts der Produktionsmengen und der Abnahmekonkurrenz durch die chemische Industrie, im Bereich des Flug- und Schiffsverkehrs bis zum Erreichen der Klimaneutralität 2045 ist. Das hauptsächliche Problem der beiden „langfristigen Programme“ des nun noch forcierten Autobahn-Ausbauprogramms von FDP und SPD ist aber, dass sie auf ein „Weiter so“ im Bereich der Mobilität setzen und die Weichen auf Jahre hinaus falsch stellen. Der Beschluss, dass die Menschen weiterhin eine Gasheizung einbauen können, in der Hoffnung, dass sie irgendwann einmal mit Wasserstoff betrieben werden könnte, geht in die gleiche falsche Richtung. Auch hier: Wenn Sie sich damit beschäftigen, werden Sie um die Problematik, hochflüchtigen Wasserstoff im bestehenden Gasnetz zu verteilen und so diese ‚bestehende Infrastruktur weiterzunutzen‘, wie die FDP gerne argumentiert, wissen.

Ich schrieb in meiner Mail: „Das fatale Signal der Ampel an die Menschen: Ihr seid aus der Verantwortung. Bestellt ruhig neue Verbrenner, baut eine neue Gasheizung ein. Der Staat wird für E-Fuels und Wasserstoff oder E-Methan sorgen. Und wenn nicht, seid ihr aus dem Schneider und könnt euch Hoffnung auf staatliche Beihilfen für die steigenden Preise für fossile Energieträger machen.“ Ihre Antwort trägt nichts zur Entkräftung dieser Befürchtung bei.

Im „Stufenplan Klimaneutralität 2035“ für meine Heimatstadt Wuppertal wird zum Beispiel festgestellt, dass der Individualverkehr um 40% abnehmen muss, um die Ziele erreichen zu können. Ähnliche Aussagen finden Sie auch in Studien bundesweit. Dazu müsste die Mobilitätswende aber mehr als eine Antriebswende sein und neben dem Ausbau der Schiene – dass der beschränkt auf den Fernverkehr angegangen wird, will ich Ihnen zugestehen – insbesondere den Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs (ÖPNV) voranbringen. Das 49,- Euro-Ticket führt ggfs. zu einer Steigerung der Fahrgastzahlen, trägt aber nicht zum Ausbau für den ÖPNV bei.

Ich weise deshalb in meiner Mail zusätzlich darauf hin: „Ein weiteres Problem: Überschuldete und unterfinanzierte Kommunen wie z.B. Wuppertal werden Investitionen in die Klimaneutralität nicht stemmen können. Solange Klimaschutz keine kommunale Pflichtaufgabe ist, müssen sie ihn bei knapper Kassenlage sogar gesetzlich verpflichtet zurückstellen.“ Auch darauf gehen Sie überhaupt nicht ein.

Ich wiederhole daher meine Forderungen an Sie:

1. Bitte setzen Sie sich als Abgeordneter gegen die Abschwächung des Klimaschutzgesetzes ein! Klimaziele müssen jährlich für jeden Sektor verbindlich bleiben.

2. Klimaschutz muss kommunale Pflichtaufgabe werden.

3. Kommunen brauchen von Bund und Ländern für mindestens zehn Jahre feste Klima-Budgets, damit Investitionen in den kommunalen Klimaschutz überhaupt möglich werden.

Dass Sie ein schweres Erbe nach Jahrzehnten des Aussitzens (eigentlich hätte die Regierung Kohl nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl mit der Energiewende beginnen müssen) und des Stillstandes geerbt haben, gestehe ich Ihnen zu. Dennoch haben wir bis zum Aufbrauchen des Deutschland zustehenden CO2-Budgets beim aktuellen Stand der Emissionen keine zehn Jahre mehr Zeit. Nur durch sofortiges Handeln, auch im Verkehrsbereich können wir überhaupt die Zeit bis 2045 erkaufen. Es bleibt daher grundfalsch, wenn Sie Herrn Wissing Sofortmaßnahmen ersparen.

Ich bitte erneut um Ihre Stellungnahme.

Mit freundlichen Grüßen

Georg Weber