Feministische Außenpolitik in Zeiten des Krieges in Europa

Prinzipien der feministischen Außenpolitik

Mitten im Krieg Russlands gegen die Ukraine stellen die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock und die Entwicklungsministerin Svenja Schulze am 28.02.2023 in Berlin Grundzüge einer feministischen Außenpolitik vor. Dieser aus Schweden stammende Politikansatz kann natürlich keine Wunder bewirken und er löst auch die aktuellen Menschheitsprobleme nicht, aber er kann neue Impulse setzen.

Feministische Außenpolitik heißt, mit Frauen, Kindern, Jugendlichen und marginalisierten Gruppen zu sprechen, ihre Interessen und Rechte zu sehen und zu vertreten und die universalen Menschenrechte für alle zu schützen. Feministische Außenpolitik bedeutet natürlich auch, dass Frauen die Außenpolitik selbst maßgeblich mitgestalten und in Diplomatie, Regierungen und Parlamenten stärker vertreten sein müssen. Als drittes Element gehört die Bereitstellung von Ressourcen dazu, um Frauen weltweit einen besseren Zugang zu Bildung, zum Gesundheitswesen, zum Finanzsystem in Form von Krediten und zur Politik zu ermöglichen. 

Feministische Außenpolitik braucht mutige Politikerinnen und Politiker, die den chauvinistischen Herrschaftssystemen dieser Welt die Stirn bieten. Besonders die Politikerinnen brauchen unsere Unterstützung und unseren Rückhalt, denn sie werden, wenn sie so handeln, von den Chauvinisten dieser Welt gehasst und angegriffen.

 

Angriffe durch Desinformation auf Annalena Baerbock und ihre Erwiderung

Annalena Baerbock wurde bereits während des Wahlkampfs zur Bundestagswahl 2021 am schärfsten von allen Kandidat:innen durch russische Desinformation attackiert. Häufig werden dabei Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen, verstümmelt und in einen falschen Zusammenhang gesetzt, der die angegriffene Person, hier Annalena Baerbock, diskreditieren soll (s. Susanne Spahn, Russische Medien in Deutschland, S.15)

Hackangriff Russland: Information als Waffe (freiheit.org)

Die Desinformation setzt sich bis heute weiter fort und nicht nur von russischer Seite.

Das in letzter Zeit bekannteste Beispiel im Informationskrieg ist die Isolierung und Zweckentfremdung einer Formulierung, die die Außenministerin am 24.01.2023 im Europarat auf die Vorhaltungen von verschiedenen Fragestellern, Deutschland lasse die Ukraine im Stich, in ihrer Antwort in englischer Sprache verwendet hat: “Yes, we have to do more to defend Ukraine. Yes, we have to do more also on tanks. But the most important and the crucial part is that we do it together, and that we do not do the blame game in Europe, because we are fighting a war against Russia, and not against each other.”

Der Nebensatz „because we are fighting a war against Russia“ wurde anschließend von verschiedenen Seiten aus der Antwort herausgelöst und zur Hauptaussage „We are fighting a war against Russia“ verwandelt. Dazu verlangte das russische Außenministerium eine Erklärung von deutscher Seite.

Der Nebensatz ist aber auch von vielen hiesigen Akteur:innen immer wieder aufgegriffen worden, wie z.B. von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht in ihrem "Manifest für den Frieden", um damit die Außenministerin als Kriegstreiberin gegen Russland darzustellen.

Doch die Außenministerin ist keine Kriegstreiberin und Panzernärrin. Der Kriegsherr und Angreifer ist Putin. Mehrfach hat die Außenministerin klargemacht, dass Deutschland nicht im Krieg mit Russland ist. Im Interview des Tagesspiegels vom 11.02.2023 antwortete sie auf die Frage „Frau Baerbock, befinden wir uns im Krieg mit Russland?“:

„Nein. Russland greift die Ukraine mit dem Ziel an, dieses Land zu vernichten. Es greift damit auch unsere europäische Friedensordnung an. Deshalb war es auch so wichtig, dass wir seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges am 24. Februar vor einem Jahr bei unserem Bemühen größte internationale Einigkeit bewahrt haben. Und zwar sowohl bei der Unterstützung der Ukraine in der Ausübung ihres Rechts auf Selbstverteidigung als auch bei der Verteidigung der Charta der Vereinten Nationen und der europäischen Friedensordnung.“

Auf die Bedeutung des Nebensatzes „(because) we are fighting a war against Russia“ angesprochen, sagte sie:

„…Aber gerade in so schwierigen Zeiten, in denen wir uns auf einem sehr schmalen Grat bewegen, in denen Dinge immer wieder bewusst fehlinterpretiert werden, ist der Kontext entscheidend. In der konkreten Situation warfen mir im Europarat viele Fragesteller vor, Deutschland lasse die Ukraine im Stich, wenn wir nicht sofort Kampfpanzer liefern. Deshalb habe ich deutlich gemacht, dass wir die Ukraine dabei unterstützen, sich zu verteidigen. Ich plädierte dafür, als Europäer nicht mit dem Finger aufeinander zu zeigen, sondern dafür zu sorgen, dass die Ukraine endlich wieder in Frieden leben kann. Und ich wollte zudem deutlich machen, dass der Angriff auf die Ukraine eben auch ein Angriff auf die europäische Friedensordnung sowie die Charta der Vereinten Nationen ist."

Mehrere Politiker, darunter Rolf Mützenich, SPD-Fraktionschef, und Friedrich Merz, CDU-Fraktionschef, warfen ihr vor, mit diesem Nebensatz die russische Propaganda gestärkt zu haben. Dazu sagte sie: „Das russische Regime und Wladimir Putin versuchen jede Äußerung von mir für ihre Propaganda auszuschlachten. Das tun sie auch, wenn ich sage: Heute ist Samstag.“ (Das Interview wurde am Samstag, den 11.02.2023, im Tagesspiegel veröffentlicht)

 

Ziele russischer Desinformation

Es ist wichtig, sich an dieser Stelle bewusst zu machen, dass die russische Desinformation hierzulande schon vor dem 24.02.2022 anscheinend das mittel- bis langfristige Ziel verfolgt hat, „wirklich die Gesellschaft weiter zu polarisieren, vielleicht das Vertrauen in die Demokratieform und in die Regierung, in die staatlichen Stellen zu unterminieren und vielleicht dann eine Alternative aufzuzeigen, beispielsweise eine autoritärere Regierungsform, wie wir sie in Russland haben.“

EU-Experte zu russischer Desinformation - "Zu Beginn der Coronakrise haben wir fast abstruse Falschmeldungen gesehen" | deutschlandfunk.de

Das kurzfristige Ziel der russischen Desinformation besteht momentan ganz offensichtlich darin, der Ukraine die notwendige Unterstützung zu ihrer Selbstverteidigung zu entziehen, die große Einigkeit der unterstützenden Länder zu zerschlagen, die Bevölkerung in den unterstützenden Ländern zu spalten und gegen die Politik zur Unterstützung der Ukraine und insbesondere gegen die Politiker:innen, die diese Politik vertreten, zu mobilisieren. Deutschland war schon vor dem 24.02.2022 das Hauptangriffsziel der russischen Desinformation und ist es auch weiterhin. Aus diesem Grund steht gerade die deutsche Außenministerin, die klar für die solidarische Unterstützung der Ukraine bei ihrer Verteidigung eintritt, so im Fokus der russischen Desinformation.

Hinter dem ganzen Wirbel um diesen einen Nebensatz ist untergegangen, wo die Außenministerin eigentlich gewesen ist, als sie das sagte, und was sie dort sonst noch gesagt hat.

 

Die Rede der deutschen Außenministerin vor dem Europarat

Am 24.01.2023 hielt die Außenministerin auf der parlamentarischen Versammlung des Europarates eine halbstündige Rede über die Rolle des Europarates in der Zeit des Krieges in  Europa, in der die Verletzung der Menschenrechte der ukrainischen Bevölkerung durch die russländischen Aggressoren und Besatzer an der Tagesordnung sind. In dieser Rede wird an mehreren Stellen deutlich, was feministische Außenpolitik ist.

Speech by Federal Foreign Minister Annalena Baerbock at the Parliamentary Assembly of the Council of Europe - Federal Foreign Office (auswaertiges-amt.de)

Baerbock erläutert, mit welchem Ziel der Europarat 1949 als erste europäische Organisation nach dem Krieg gegründet wurde: „als ein Frühwarnmechanismus gegen die Verletzung der Menschenrechte – um neue Kriege, menschliches Leid und Tyrannei in Europa zu verhindern. Und als ein gemeinsames europäisches Haus für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit, geschützt durch die starken Wände der Menschenrechtskonvention und den Gerichtshof für Menschenrechte.“ (hier übersetzt aus dem Englischen von mir)

Sie spricht darüber, dass die jüngeren Generationen insbesondere in Westdeutschland, zu denen sie selbst gehört, das ganze Leben in Frieden und Freiheit und nicht unter einer Diktatur verbracht haben. „And we all believed that we could live in this house of freedom and peace forever.

But the crucial point is what we do now. Now, when European peace order, when the Council of Europe, OSCE, are under attack. This is our responsibility as politicians of our generation. Because Russia’s aggression is not only a war against Ukraine, it is a war against the common European peace order.”

Früh haben die osteuropäischen Partnerländer des Europarates, insbesondere die baltischen Staaten, auf die Aggressivität Russlands hingewiesen. Baerbock nennt die Schauprozesse gegen Alexej Nawalny, die Ignoranz Russlands gegenüber Urteilen des Europäischen Menschrechtsgerichtshofs zu seiner Freilassung, die Weigerung Russlands, die Konvention von Istanbul zu unterschreiben und seine drastische Beschränkung von Frauenrechten. „This were early warning signs. We didn’t see them. We didn’t take action.”

Seit 2017 ist häusliche Gewalt gegen Frauen in Russland erst dann strafbar, wenn der Mann die Frau mehrfach geschlagen hat und zwar krankenhausreif. „That should have sent a loud and clear warning because women’s rights are a yardstick for the state of our democracies. When women aren’t safe in a society, no one is safe.” Die Missachtung der Menschenrechte in einem Land, so Baerbock, bedroht letzten Endes Frieden und Freiheit. Die eskalierende Repression innerhalb Russlands geht einher mit Putins Versuch, die Ukraine und die europäische Friedensordnung zu zerstören.

Baerbock in Charkiw

In ihrer Rede geht Baerbock auch auf ihren Besuch in Charkiw am 11.Januar 2023 ein. Die Großstadt Charkiw liegt im Nordosten der Ukraine nur 20 km von der russischen Grenze entfernt. Seit dem 24.02.2022 haben russische Truppen Charkiw intensiv vom Boden und aus der Luft angegriffen und zeitweise besetzt. Im September wurde Charkiw von ukrainischen Truppen wieder befreit. „Charkiw – belagert, zerschossen, befreit.“ So fasste Baerbock ihre ersten Eindrücke vom Überlebenswillen der Stadt nach ihrer Ankunft dort zusammen. Sie ist das erste deutsche Kabinettsmitglied und die erste ausländische Außenministerin, die Charkiw im Krieg besucht hat. Die Reise musste aus Sicherheitsgründen zunächst geheim gehalten werden.

In ihrer Rede vor der parlamentarischen Versammlung des Europarats berichtet Baerbock von ihrer Begegnung mit Teenagern, mit denen sie sich in einer Wärmestation in Charkiw unterhalten hat. Sie fragte ein Mädchen, warum sie nach der Flucht mit den Eltern nach Italien trotz der Bomben und Zerstörung nach Charkiw zurückgekommen ist: 

"Because this is my home. Even though my home is now a prison because I cannot go to school, I cannot play volleyball, I cannot go out with my friends anymore. This is my home. This is where I want to be. This is where I want to survive. If I'm not dying."

Das ukrainische Mädchen wünscht sich ein ganz normales Teenagerleben in Freiheit und Frieden, ja, sie will einfach in ihrer Heimatstadt überleben. Baerbock nimmt den Wunsch des Mädchens nach einem ganz normalen Leben in Würde und Freiheit in ihre Rede auf und sagt, dass der Schutz dieser grundlegenden Menschenrechte jetzt auf der Agenda des Europarates steht.

Im Angesicht der überkommenen Machtpolitik Putins, der über die individuellen Rechte hinwegtrampelt, um imperialem Glanz und Größe hinterherzujagen, hatten sich die Länder des Europarates zu entscheiden, wo sie stehen - auf der Seite des Aggressors oder auf der Seite der Opfer wie der Teenager in Charkiw. Bei der Wahl zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, zwischen Freiheit und Unterdrückung gibt es keine Neutralität. Der Europarat hat sich klar und gemeinsam gegen den Krieg Russlands entschieden, so Baerbock.

 

Annalena Baerbock als Feindbild und Hassfigur

Als die Reise Baerbocks nach Charkiw bekannt wurde, trieb dies den russischen Duma-Abgeordneten Aleksej Schurawlow zur Weißglut und zu Mordgedanken. In einer Talksendung des staatlichen russischen Fernsehsenders Rossia 1 tönte er noch am Tag des Besuchs: "Diese Anna oder Lena oder wie auch immer sie heißt, Baerbock, läuft frei in Charkiw herum. Wissen wir denn nicht, wo sie ist? Haben wir denn keine Präzisionswaffen? Was macht sie da?"

https://www.news.de/politik/856693269/annalena-baerbock-bedroht-von-aleksey-schurawlow-russen-politiker-ruft-zum-mord-an-baerbock-auf-nach-ukraine-besuch/1/

Zur Hassfigur wurde Baerbock auch auf der Schwarzer/ Wagenknecht-Demonstration „Aufstand für Frieden“ am 25.02.2023 in Berlin erkoren. Beide Protagonistinnen genossen und schürten die Stimmung gegen Baerbock, Wagenknecht wetterte von der Bühne: „Wir fühlen uns nicht vertreten von einer Außenministerin Annalena Baerbock, die wie ein Elefant durch einen Porzellanladen trampelt.“ Und aus der der Menge tönte es zurück: „Baerbock raus.“ (Welt am Sonntag, 26.02.2023)

 

Der Aggressor muss gestoppt werden

Es lohnt sich, sich mit der Rede Baerbocks auseinanderzusetzen. Wir leben in einer Zeit, in der Putin das große Russland seinem Regime vollständig unterworfen hat, in der seine Herrschaft immer mehr wahnhafte und faschistoide Züge annimmt. Täglich produzieren seine Propagandist:innen Lügen und Verdrehungen, um die Bevölkerung Russlands weiter einzunebeln und Putin in allem Handeln zu bestätigen. Das brutal von ihm überfallene, souveräne Nachbarland Ukraine, das sich seiner Herrschaft nicht ergibt, sondern kämpft, will er zermalmen und zerstören. Die westlichen Demokratien bedroht er und fordert sie durch Desinformation und Kriegsdrohungen heraus, dunkle Drohungen mit Atombomben eingeschlossen. Deutschland als zentraler europäischer Player ist in seinem Visier.

Mit ihrer Rede vor der parlamentarischen Versammlung des Europarats hat die deutsche Außenministerin den Zusammenhang zwischen der Tyrannei Russlands nach innen und seiner Aggression nach außen veranschaulicht. Sie sieht die Verantwortung, die den Politiker:innen ihrer Generation zufällt, und trifft klare Entscheidungen.

Sehen auch wir unsere Verantwortung als Zivilgesellschaft in Deutschland und als Teil der europäischen Staaten?

Wenn ja, dann stellen wir uns einig an die Seite der angegriffenen Ukraine und ihrer Bevölkerung und unterstützen sie in ihrer Selbstverteidigung und Selbstbehauptung gegen den Aggressor. Um das Völkerrecht und die universellen Menschenrechte, die gemeinsam die Grundlage unseres Lebens in Frieden und Freiheit bilden, zu bewahren und wieder herzustellen, muss Putin gestoppt werden. Streiten wir für die Wiederherstellung des Rechts und seine Durchsetzung gegen den Despoten, denn nur so kann es wirklich Frieden in der Ukraine und Europa geben!  

Februar/März 2023

 

Foto: Gebäude der Räte in Charkiw, aufgenommen am 11.4.2005 von Artem W. Konowalow